Es ist gut für euch, dass Ich hingehe (zum Vater)“!


■ Wenn in einer Familie Kinder geboren werden, hegen und pflegen sie ja die Eltern mit einer sehr großen Achtsamkeit und Hingabe. Sind ja besonders die ganz kleinen Kinder voll und ausnahmslos von den Menschen abhängig, die die Fürsorge für sie haben. So wächst dann wohl auch die Liebe der Eltern zu ihnen in gewisser Hinsicht noch mehr, weil sie ja durch immer mehr Erfahrungen angereichert wird.
Mit jedem Jahr lernen dann aber die Kinder, immer mehr selbst zu tun und zu verstehen. Sie wachsen und werden in mancherlei Hinsicht immer selbstständiger und unabhängiger von ihren Eltern. Besonders im Teenageralter wollen sie sich dann häufig von ihren Eltern stark „abnabeln“ und verweisen gern darauf, wie selbstständig und erwachsen sie doch in der Zwischenzeit seien.
Dann tritt in den allermeisten Familien irgendwann der Moment ein, in welchem die Kinder tatsächlich das Elternhaus verlassen und als junge Erwachsene sozusagen ein eigenes Leben beginnen – mit Berufswahl und -ergreifung sowie gegebenenfalls mit der Gründung einer eigenen Familie. Und auch wenn es alle vernünftigen Eltern verstehen, dass sie die eigenen Kinder irgendwann mal tatsächlich „entlassen“ müssen, damit diese dann im Leben auf eigenen Beinen stehen können, erfüllt sie wohl doch eine gewisse Wehmut bzw. ein innerer Schmerz, dass die Kinder nun flügge geworden sind und das Elternhaus verlassen haben.
Mag es den Eltern noch so schwer fallen, die eigenen Kinder in die Unabhängigkeit zu entlassen, weiß man, dass so der Lauf des Lebens ist und es so auch und gerade zum Besten der Kinder gereicht. Denn nur bei einer so verstandenen Selbstständigkeit und Unabhängigkeit kommen die Kinder überhaupt erst in die Lage, vollumfänglich selbstständige Entscheidungen zu treffen und die Verantwortung dafür zu tragen; nur auf eine solche Weise können sie in ihrer Persönlichkeit wachsen, reifen und gesunde Erfahrung sammeln! Denn irgendwann sollen sie ja im nächsten Schritt den eigenen gesammelten Erfahrungsschatz auch an die eigenen Kinder als der nächsten Generation weiterreichen!
■ Im gegenseitigen Verhältnis zwischen Jesus und den Aposteln verhielt es sich in einer bestimmten Hinsicht analog. Diese zwölf von Jesus zum Apostelamt berufenen Männer haben bis zu drei Jahre lang Jesus bei Seiner Predigttätigkeit begleitet und sind Zeugen Seiner zahlreichen Zeichen und Wundertaten geworden. Sowohl wuchsen sie Jesus in zwischenmenschlicher Hinsicht sehr ans Herz, als auch gewannen sie ein sehr hohes Maß an Vertrauen und Zutraulichkeit zu Ihm. Sehen wir ja, wie sehr es für sie dann auch rein menschlich eine Katastrophe war und für sie da alles zusammengebrochen ist, als Jesus, ihr Lehrer und Meister, vom Hohen Rat zum Tod verurteilt und gekreuzigt worden ist.
Wie groß war dann die Freude und auch der Trost, als Jesus ihnen nach Seiner Auferstehung erschienen ist und mit ihnen geredet hat! Echt rührend, wie Petrus als erwachsener Mann es nicht aushält und schnell zum Ufer schwimmt, um bei Ihm zu sein, als er nämlich zusammen mit einigen anderen Jüngern beim Fischen am See Genezareth Jesus am Ufer erkennt (vgl. Joh 21,1-14)! Es keimte wieder große menschliche Hoffnung auf, Er würde jetzt bei ihnen bleiben.
Dann kam aber wieder die menschlich als Schmerz und Enttäuschung empfundene Trennung von Jesus bei Seiner Himmelfahrt! Gerade fragen sie Ihn noch, ob Er „das Reich für Israel wieder aufrichten“ werde (Apg 1,6). Und schon kurz darauf heißt es: „Nach diesen Worten ward Er vor ihren Augen emporgehoben. Eine Wolke entrückte Ihn ihren Blicken.“ Während sie dann voll Sehnsucht „unverwandt zum Himmel schauten“, werden sie von „zwei Männern in weißen Gewändern“ ermahnt, Er werde (wohl zum Jüngsten Gericht) „ebenso wiederkommen, wie ihr Ihn habt zum Himmel auffahren sehen“. (Apg 1,9-11.) Offensichtlich waren ihnen dabei der Wehmut und der Abschiedsschmerz ins Gesicht geschrieben, dass sie Ihn für hier und jetzt sozusagen wieder verloren haben!
Umso bemerkenswerter für uns hier ist, dass Jesus ihnen vorher nicht nur Sein Verlassen dieser Welt und Sein Heimgehen zum Vater angekündigt hatte (Joh 14,3.18f.25.28), sondern sogar auch noch ausdrücklich hinzugefügt hatte: „Nun gehe Ich aber zu Dem, der Mich gesandt hat… Vielmehr ist euer Herz voll Traurigkeit, weil Ich euch das gesagt habe. Aber Ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass Ich hingehe. Denn wenn Ich nicht hingehe, kommt der Beistand nicht zu euch; wenn Ich aber hingehe, werde Ich Ihn zu euch senden.“ (Apg 16,5-7.)
Ja, Jesus verheißt ihnen zwar für die Zukunft die Sendung des Heiligen Geistes. Dennoch muss es den Aposteln beim Sprechen der betreffenden Worte äußerst seltsam vorgekommen sein zu hören, es sei gut, dass Er nun von ihnen weggehe. Sie fühlten sich da als allein zurückgelassen, als verlassen und sogar als im Stich gelassen. Und das solle gut sein für sie? Man darf wohl als sicher davon ausgehen, dass sie diese Logik Jesu damals überhaupt nicht verstanden haben, sondern eher sowohl von großem Verlustschmerz als auch von einer gehörigen Portion an Ratlosigkeit erfüllt waren.
Aber offensichtlich war es ausdrücklich die Absicht Jesu, dass die Apostel auf einer bestimmten geistigen Ebene nun endlich auch die ersten komplett eigenen Schritte machen – sowohl auf ihrem weiteren Weg zu und mit Gott als auch beim Hineinwachsen in die getreue Ausübung des ihnen anvertrauten hohen und höchst verantwortungsvollen Apostelamtes.
Jedes Kleinkind, das die allerersten unsicheren Schritte mit den eigenen Beinchen macht, hält sich ja zunächst immer an etwas oder an jemand fest. Irgendwann muss es dann aber auch davon lassen, um wirklich selbstständig gehen zu können. Anscheinend war es auch für die geistige Entwicklung der Apostel von entscheidender Bedeutung, dass sie die eigene Unsicherheit und das gewisse Fürchten überwinden und im Vertrauen auf Gott auch bei der physischen Abwesenheit Jesu „eigene Schritte“ machen und so überhaupt weiter reifen können! So gesehen, war es anscheinend wirklich „gut“ für die Apostel, dass Jesus ihnen mit Seiner Himmelfahrt als Mensch nicht mehr körperlich sichtbar erschien.
■ Jeder junge Mensch, der beim Prozess des Erwachsen-Werdens sein „Elternnest“ verlässt, steht ja dann v.a. in geistiger Hinsicht nicht völlig isoliert da oder muss von Null auf anfangen. Er ist ja bereits durch sein Elternhaus und das geistige Umfeld seiner Kindheit und Erziehung hoffentlich positiv mitgeprägt worden. Zwar muss er dann bei eigenen Entscheidungen vollverantwortlich auftreten, aber er kann dennoch wenigstens in einem gewissen Umfang aus einem Schatz schöpfen, welchen speziell das Elternhaus, aber auch die Gesellschaft und das Volk für ihn mitangesammelt hatten. Und töricht ein junger Mensch, der diese Starthilfe nicht nutzen wollte, sondern meinte, er müsste sich komplett und restlos von seinem geistigen Erbe abkoppeln, als wüsste er schon alles besser und zwar er ganz allein.
So fragt auch immer wieder ein jeder kluge junge Mensch v.a. seine Eltern, aber auch ältere Freunde und geistige Lehrer gern um Rat und zweckdienliche Hinweise, auch wenn er dann die betreffende Entscheidung schlussendlich selbst treffen muss. Aber man hört nicht ungern auf die Meinung der Älteren, weil sie ja so manche Lebensprüfung vorher selbst schon meistern mussten und somit über gewisse positive wie negative Erfahrungen verfügen, aufgrund welcher man dann selbst vielleicht auch so manchen Fehltritt vermeiden könnte!
Generell sagt auf diesem Gebiet der Umgang der Jüngeren den Älteren gegenüber viel über die Klugheit und Reife der jüngeren Generation aus. Wer da gern hinhört und sich nicht zu schade ist, bescheiden zuhören und demütig lernen zu wollen (ohne dabei immer auch an die eigene Eitelkeit zu denken), der erreicht im Endeffekt einen größeren geistigen Fortschritt als jemand, der hauptsächlich daran interessiert sein sollte, sich so stark und deutlich wie nur irgendwie möglich von seinen guten Eltern und anderen gesunden Autoritäten abzukoppeln (um so törichterweise seine angebliche „Unabhängigkeit“ unterstreichen zu wollen!) bzw. es absurderweise sogar als „Schwäche“ ansieht, überhaupt um Rat zu fragen bzw. auf Rat zu hören, weil er sich ja dann nicht als „klug“, „intelligent“ und „erwachsen“ „bestätigen“ würde!
■ Jesus hat Seinen Jüngern neben der Ankündigung Seiner Himmelfahrt zugleich auch die Sendung des Heiligen Geistes vorausgesagt! „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in Meinem Namen senden wird, der wird euch alles andere lehren und euch an alles erinnern, was Ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26)! „Noch vieles hätte Ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommt, wird Er euch in alle Wahrheit einführen. Denn Er wird nicht aus sich reden, sondern alles, was Er hört, wird Er reden, und was zukünftig ist, euch verkünden. Er wird Mich verherrlichen; denn Er wird von dem Meinigen nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist Mein, Darum habe Ich gesagt: Er nimmt von dem Meinigen und wird es euch verkünden.“ (Joh 16,12-15.)
In und mit diesen Worten Jesu wird in der katholischen Kirche auf übernatürlicher Ebene dasselbe Prinzip der geheiligten Tradition als des Fortlebens des Guten und Göttlichen Geistes grundgelegt, welches auf natürlicher Ebene bei der Kindererziehung und dem Generationenwechsel vernünftigerweise zum Zug kommt und kommen soll. Zwar hat Jesus in der Himmelfahrt Seiner Menschheit nach diese Welt verlassen. Aber Sein Geist, der Geist des Vaters und des Sohnes, lebt in der von Christus gestifteten Kirche weiter und lenkt und leitet ihre Denkweise und Aktivitäten in der Gesinnung Gottes!
Hören die Apostel und Jünger des Herrn dann bei ihren eigenen konkreten Entscheidungen in aller Demut und Bescheidenheit tatsächlich auf diese göttliche Inspiration des Heiligen Geistes, wird ihr allumfassendes seelsorgliches Wirken sowohl vom Geist Jesu gelenkt werden als auch im Ergebnis wieder zu Ihm führen bzw. Ihn verherrlichen! Und eigentlich erst so werden sie in die Lage versetzt, ihre Mission zu erfüllen und Zeugnis von der Liebe, Güte, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit des Dreifaltigen und Dreieinen Gottes abzulegen: „Wenn aber der Beistand kommt, den Ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird Er Zeugnis von Mir geben. Aber auch ihr sollt Zeugnis geben, weil ihr von Anfang an bei Mir seid.“ (Joh 15,26f.)
Sowohl am traurigen Beispiel der vor 500 Jahren begonnenen protestantischen „Reformation“ als auch an der Tragödie der nach dem Tod von Papst Pius XII. entstandenen „Konzilskirche“ der Modernisten sehen wir, zu welchen geistig-geistlichen Entgleisungen und Verwüstungen die Auflehnung gegen das von Jesus den Aposteln verkündete und sich danach im Lauf der Kirchengeschichte bewährte und überlieferte urchristliche Prinzip der heiligen Tradition führen kann!
Denn wenn der überlieferte Glaube der Apostel letztendlich durch menschliche Weisheiten und allzu rationalistische Spitzfindigkeiten der betreffenden „Päpste“, „Bischöfe“ und „Theologen“ ersetzt werden; wenn nicht das Wort Jesu, wie es nämlich von den Aposteln, sprich der katholischen Kirche (!), verstanden und in Treue zu Ihm immer weitergegeben worden ist, die Hauptrolle spielt, sondern sich alles vordergründig dem weltlichen Zeitgeist und dem Totalitarismus eines zutiefst liberal-antichristlichen medial-politisch-gesellschaftlichen Mainstreams beugt; dann darf man sich wohl kaum wundern, wenn aus der Kirche im eigentlichen Sinn des Wortes, die nämlich das übernatürliche Heil Christi verkündet und vermittelt und somit das ewige Heil der Seelen wirkt, in beiden Fällen letzten Endes weitestgehend jeweils nur eine irdisch-weltliche Vereinigung entsteht, die ihr Hauptgewicht auf die diesseitigen sozial-wirtschaftlichen Belange der Menschen richtet. Halt ein Sozialverein und religiös leicht gefärbter politischer Klub mehr…
■ In unserem Leben erleben wir wahrscheinlich auch alle mal solche schwierigen Situationen, in welchen wir uns beim Gedanken ertappen, wie denn Gott von uns ein solches Kreuz abverlangen könne. Denn es erscheint uns wie eine gewaltige Zumutung, worauf wir da entweder verzichten oder was wir als sehr schwere Last tragen oder als Hoffnung aufgeben sollen. Gerade im Bewusstsein um die eigenen sehr eingeschränkten Kräfte und Fähigkeiten fühlt man sich da allein bzw. geradezu verlassen. Wie soll man das bewerkstelligen können, was das scheinbar ungerechte Schicksal von einem offensichtlich abverlangt.
Ja, auf der einen Seite ist es richtig und äußerst wichtig, dass man sich der eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten bewusst wird. Das bricht heilsam den Stolz und die menschliche Selbstüberschätzung, die man doch bisweilen als Versuchung erfährt. Umso mehr vertraut man dann auf Gott, die Quelle alles Guten!
Zur gleichen Zeit bzw. parallel dazu sollte man aber auch die einem bewusst als Aufgabe verstandene Prüfung annehmen und sie im Licht der oben beschriebenen „familiär“-kirchlichen Tradition im Vertrauen auf Gottes Gnadenbeistand und Führung zu meistern versuchen. Man flehe inständig im Gebet um die Erleuchtung und Stärkung des Heiligen Geistes. Man lerne auch vom guten Beispiel und dem klugen Rat derer, die ihre Lebensprüfungen im Geist Christi offensichtlich bestanden haben. Man besinne sich vor allem auf die wesentlichen christlich-katholischen Glaubenswerte wie Demut, Reue, Liebe, Vertrauen in Gottes Führung und Vorsehung!
Dann werden wir nicht nur in aller persönlichen Bescheidenheit in die uns gestellte bzw. aufgrund eines göttlichen Ratschlusses übertragene konkrete Aufgabe hineinwachsen, sondern auch immer fähiger werden, da segensreich zu wirken, und bewusster erleben, dass wir auf eine solche Weise die vielleicht sogar wirksamste Möglichkeit haben, Gottes Liebe, Güte und Gerechtigkeit zu lobpreisen und anderen Menschen zu verkünden!
Der hl. Apostel Paulus sagt: „Und Gott ist treu. Er lässt euch nicht über eure Kräfte versuchen, sondern schafft mit der Versuchung auch den guten Ausgang, so dass ihr bestehen könnt“. (1 Kor 10,13). Eine Volksweisheit lautet: „Wenn Gott einem eine Aufgabe überträgt, gibt Er auch die Kraft dazu!“ Das haben die Apostel sehr lebendig erfahren. Versuchen wir ebenfalls, die uns im Leben übertragenen Aufgaben und von uns abverlangten Entscheidungen als Zulassung, Prüfung und Sendung Gottes anzusehen, um sie dann auf der einen Seite zwar scheinbar „allein“ zu meistern (wie die Apostel nach Jesu Himmelfahrt), auf der anderen Seite aber zugleich immer unbedingt mit der essentiell erforderlichen Hilfe der heilsamen Gnadengaben des Heiligen Geistes – in der Kraft und Gnade Gottes! Denn ohne Ihn können wir ja nichts tun (vgl. Joh 15,5)!

P. Eugen Rissling

 

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